WA100 Ai no kurîda

Es ist tatsächlich vollbracht! Die 100. Folge Wiederaufführung ist Wirklichkeit geworden! Wir schwelgen ein wenig in Erinnerungen an die bisherigen 99 regulären und 21 Sonderausgaben, freuen uns über eingeschickte Audioglückwünsche befreundeter Podcasts und servieren uns selbst eine Reise zu Im Reich der Sinne. Darin geht es um die historische Figur der Abe Sada, welche 1936 festgenommen worden war, als man in ihrer Handtasche einen Penis fand. Und Nagisa Ôshimas Film ist definitiv nicht zimperlich, enthält Hardcoreszenen, ohne jedoch rein exploitativ zu sein. Wir grübeln über Motive und Episoden des Films und stellen fest, dass uns so manch historischer Hintergrund, manche Erklärung zur japanischen Gesellschaft sicher gut getan hätten. Aber die Wiederaufführung wäre nicht die Wiederaufführung, wenn nicht auch in Folge 100 wieder jede Menge gefährliches Halbwissen und steile Thesen dabei wären.

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Max Roth
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Christian Höntzsch

Kommentare

  1. Guten Tag und nachträglich Gratulation zur Nummer 100!
    Ich höre gerade noch die Episode, aber ich versuche mal ein paar gleichzeitig Punkte zu ergänzen, aber ich habe Film selber bestimmt schon zehn Jahre nicht mehr gesehen, also ist da auch noch einiges an Halbwissen dabei.
    Kurz zur Frage, ob hinter der Provokation mehr steckt: Der Regisseur selber sah den Film nicht als obszön an. Obszön findet er Dinge, die versteckt werden. Allerdings war er auch großer Gegner von Zensur, setzte sich auch immer ein, die gesellschaftlichen Zwänge loszuwerden und ihm war durchaus bewusst, dass der Film in Japan Probleme bekommen würde (dort gibt es den anscheinend bis heute nicht ungeschnitten), weshalb der auch von einer französischen Firma produziert wurde. Bzw. meine ich mal gelesen zu haben, dass diese Firma auf ihn zuging und ihn aufforderte, einen pornografischen Film, nach seinen Maßstäben, zu drehen. Aber da bin ich mir gerade nicht sicher. Dabei ging es ihm aber wohl nicht einfach nur darum, möglichst derbe Szenen zu zeigen, sondern wohl um die Mentalität und Kultur der Japaner zu zeigen, zu entmystifizieren, was halt dadurch geschieht, dass man echte Menschen möglichst direkt zeigt.
    Der Teil mit der wahren Geschichte stimmt übrigens. Die gute Frau wurde anschließend für fünf Jahre eingesperrt. Auch die Szenen, in denen sie Sex für „Publikum“ haben, scheinen so passiert zu sein.
    Für den historischen Kontext: 1936 war die japanische Armee schon einige Jahre dabei, Teile Chinas zu erobern. 1931 marschierte man in die Mandschurei ein. Das der Protagonist wohl an den Soldaten vorbei geht, soll wohl Widerstand gegen das Militär symbolisieren.
    Der Zeitrahmen für die Geschichte scheint zwischen Februar und Mai 36 zu sein. So war es wohl zumindest bei der realen Vorlage.
    Und kurz noch was zur abschließenden Kastration: Oshima sieht sich da als typisch japanischer Mann und meint, sie würden sich alle eine Frau wünschen, die ihnen so leidenschaftlich begegnet.
    Da kann man sicher noch viel, viel mehr zu sagen und vielleicht machen wir mal eine Episode dazu. Auch wenn wir nicht Kinochiwa sind 😉

    1. Mir kam vorhin noch ein Gedanke zu dem Film, der mich furchtbar amüsiert. Es hält sich ja bis heute bei verhältnismäßig vielen Japanern die Idee einer homogenen Volkes. Alle sind gleich und auffallen ist böse. Und dann kommt dieser Regisseur mit dieser wahren Geschichte, von der er munter jedes schlüpfrige Detail zeigt, als wolle er fragen: „Na, kannst du dich damit identifizieren? Wir sind ja schließlich alle gleich.“

      1. Für mich bringst du damit das persönliche Anliegen dieses Filmes auf den Punkt. Und das großartige ist: selbst in unserer Gegenwart, wo der nächste Porno nur einen Klick entfernt ist, wirkt Ai no kurîda immer noch verstörend in dieser Hinsicht. Gleichmachende Tabus haben wir auch in der europäischen Gesellschaft noch genug.

  2. Alles Gute! ? Und vielen Dank für den Shout-out. ? Über Ai no kurîda bin ich im Gegensatz zu dir, Christian, völlig unvorbereitet als Teenager im Nachtprogramm gestolpert. Er hat mich damals doch recht verstört …

    1. Als ob man auf diesen Film vorbereitet treffen könnte… keine warnende Filmkritik hätte mich wohl vor dem Schock bewahren können. 😉

  3. Auch wenn es ein oder zwei Jahre später kommt als von den anderen, so auch von meiner Seite Herzliche Glückwünsche zur 100. Folge! Nicht mehr lange und wir können hier sogar die 200. Folge begrüßen, denkt euch nur die Zeit und die Motivation wären plötzlich für einen neuerlichen wöchentlichen Sprint dorthin vorhanden, wir hätten demnach die 200. Folge von „Wiederaufführung“ dann in der letzten Dezemberwoche 2024. Das wär schon ein cooler Jahresabschluss, oder? Ich weiß, leider nicht realistisch, da diesen Podcast inzwischen der gleiche Umstand vereinnahmt hat von dem ihr in dieser Folge ebenfalls bei SecondUnit sprecht, nämlich, dass das ursprüngliche Duo auseinandergebrochen ist, aber toll wäre es schon gewesen.

    Zum Film selbst kann ich nichts sagen außer, dass er definitiv nichts für mich ist nach eurer Besprechung, weshalb ich zu diesem Jubiläum auf eine andere Frage näher eingehen möchte, die ihr aufgeworfen habt. Warum höre ich diesen Podcast? Ende 2020 war ich von der aktuellen Kinolandschaft richtig frustriert. Nur noch das gleiche, ein 80er-/90er-/2000er-Franchise nach dem anderen, das man in den Jahren zuvor ausgegraben und in schlecht bis schrecklich zurückgebracht hat (was hat mein Herz geblutet beim verhunzen von Star Wars und Star Trek), ich hatte genug davon. Zeitgleich gab es da diesen ominösen Begriff „Goldenes Zeitalter von Hollywood“ den ich kannte und der irgendeine Periode in den 40er/50er-Jahren bezeichnete. Aber was das genau war oder welche Filme dazugehörten wusste ich nicht und so wollte ich die Filmlandschaft vor 1955 näher entdecken, denn außer zwei Charlie Chaplin-Stummfilmen oder „Cleopatra“ von 1963 kannte ich nur eher wenig so alte Filme aus eigener Hand (Filmtitel und Regisseure schon 2-3 mehr). Seit Neujahr 2021 sammle und schaue ich daher insbesonders alte Filme von 1896 bis 1979 (die moderne heutige Filmwelt beginnt für mich 1980), was sich als eine spannende neue Welt erwiesen hat.

    Ich schaue gerne Filmkanäle auf Youtube wie BelYves, Moviepilot, Filmstarts oder Film Flash, doch diese (genauso wie gefühlt alle anderen Filmkanäle) drehen sich einzig nur um die moderne Filmwelt ab den 1980ern. Ich begann daher nach einem Angebot zu suchen, das auch ältere Filme bespricht, vielleicht sogar mal den einen oder anderen Stummfilm und so bin ich irgendwann bei dieser Suche auf euren Podcast „Wiederaufführung“ gestoßen und seither geblieben. Auch wenn ich nichts zum heute besprochenen Film beitragen konnte, so würdigt diese kurze persönliche Erzählung vielleicht ebenso dieses 100-Folgen-Jubiläum.

    Übrigens nette Referenz (das mit den „Bewertet uns mit 5 Sternen“) am Folgenende zum Podcast „Hobbylos“! (Scherz, der ist jünger)

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